Samstag, 15. April 2017

Sind epigenetische Änderungen vererbbar oder nicht?

In der NZZ am Sonntag erschien am 9. April 2017 ein Artikel über die Frage der Vererbbarkeit epigenetischer Änderungen mit dem Titel "Der Holocaust endet nie". Josie Glusiusz erzählt darin vom eigenen Vater, der den Holocaust als 10-jähriger Junge überlebt hat. Nach 5 Monaten Inhaftierung in Belsen wurde sein Vater am 23. April 1945 befreit. Das Trauma seiner Kindheit hat ihn ein Leben lang begleitet. Josie Glausiusz nahm an einer Studie von Rachel Yehuda über epigenetische Vererbung solcher Traumata teil und schrieb auch in "Nature" darüber. Im Artikel wird die Kontroverse um die Frage nach der Vererbung epigenetischer Muster sehr gut beschrieben:

"In ihrer Studie hatte Rachel Yehuda 2014 gezeigt, dass Kinder, deren Väter den Holocaust
überlebt und eine posttraumatische Belastungsstörung entwickelt haben, mehr Methylgruppen aufweisen in einem Gen, das bei der Stressreaktion eine Rolle spielt.
Hatten beide Elternteile den Holocaust überlebt und waren an PTSD erkrankt, war das Gen jedoch weniger methyliert. Doch wie Greally und seine Kollegen monieren, «kranken solche Studien an vielen Problemen, die ihre Interpretierbarkeit massiv limitieren».
Ein Problem ist, dass es viele Gründe geben kann, warum sich die DNA-Methylierung ändert. Ein «riesiger Störfaktor», so erklärt Greally, sind genetische Unterschiede in der DNA-Sequenz zwischen verschiedenen Individuen, welche die Methylierung beeinflussen können. Kommt hinzu, dass die Methylierungsmuster je nach Zelltyp variieren. Zellmischungen, die unterschiedliche Anteile von Zelltypen enthalten, werden demzufolge auch unterschiedliche Muster von Methylierungen  aufweisen. Drittens gibt es das Problem der «umgekehrten Kausalität », wenn nämlich die Krankheit selber die veränderte Methylierung verursacht und nicht umgekehrt. «Wir wissen nicht, ob die Veränderungen in der DNA-Methylierung bewirken, dass die Leute gestresster sind, oder ob das Vorhandensein von Stress die DNA-Methylierung änderte», sagt Greally.

Sollte es zudem einen biologischen Effekt geben, der vererbt wird, dann «sollte er in die gleiche Richtung gehen: Die Methylierung sollte zunehmen.» In ihrer Studie nahm die Methylierung aber einmal zu und einmal ab, je nachdem, welcher Elternteil den Holocaust überlebt hatte und an PTSD erkrankt war. Yehuda gibt Greally nicht vollkommen unrecht: «Es ist wichtig, dass man die Resultate
weder überinterpretiert noch ignoriert.»"

Der Artikel zeigt sehr gut, worin die Problematik der epigenetischen Forschung derzeit liegt: Es ist klar, dass die Umwelt unsere Genaktivierung ändert und steuert. Nicht einig ist man sich jedoch in Fachkreisen, ob diese Veränderungen auch über mehrere Generationen vererbbar sind. So wie es aussieht, überwiegt zur Zeit noch die Ansicht, dass epigenetische Muster (zumindest bei Säugetieren, und somit auch beim Menschen) nicht vererbbar sind.

Weitere Infos dazu gibt es auch hier: http://www.wissensschau.de/genom/epigenetik_vererbung_umwelt.php oder dann bei Spektrum http://www.spektrum.de/news/vaters-erbsuende/1258600