Samstag, 29. Juni 2013

Unterschiedliche Medikamentenverträglichkeiten

Joachim Bauer schreibt in seinem Buch "Das Gedächtnis des Körpers" u.a. auch davon, dass jeder Mensch eine individuelle Medikamentenverträgälichkeit hat. Laut Bauer haben rund 30% der Bevölkerung eine verminderte CYP450-Enzymtätigkeit, 10% sogar eine extrem verminderte CYP450-Enzymtätigkeit. Bei rund 40% der Bevölkerung wirken also die Medikamenten-Entgiftungsenzyme CYP450 nicht richtig, wodurch eine verminderte Medikamentenverträglichkeit besteht.
Auf S. 139 schreibt Bauer: "Der 'Normaltyp' bei der Entgiftungsleistung, auf den sich die Dosis-Empfehlungen bei Medikamenten beziehen, ist in der Bevölkerung also nur bei etwa 60 Prozent aller Personen vertreten. [..] 10% der Bevölkerung werden bei diesen Medikamenten durch 'normale' Dosen geradezu vergiftet."






Das Gedächtnis des Körpers

Joachim Bauer ist Arzt, Neurobiologe und Psychiater und forschte lange im Bereich der Spiegelneuronen. In seinem tollen Buch "Das Gedächtnis des Körpers" beschreibt er auf verständliche Art und Weise, wie unser Gehirn aus Psychologie Biologie macht. Dieses Buch ist wirklich sehr lesenswert und etwas vom Besten in diesem Bereich, was ich in letzter Zeit gelesen habe.



Was Bauer für mich so glaubhaft macht, ist seine Einsicht, dass auch die Neurobiologie die Schnittstelle Körper/Psyche nicht genau erklären kann: "Was ein Mensch fühlt, wird sich niemals alleine mit neurobiologischen Mitteln beschreiben lassen. [...] Nervenzellen und ihre Neurotransmitter können [...] nicht selbst fühlen."

Anhand vieler Beispiele aus seinem Alltag als Psychiater und mit seinem Wissen als Neurobiologe beschreibt Bauer eindrücklich, wie unsere Umwelt unsere Vernetzung von Nervenzellen im Gehirn massgeblich prägt. Er beschreibt, wie unser Spiegelneuronensystem in Gehirn unmittelbar nach der Geburt (und auch schon pränatal) damit beginnt, Signale aus der Umwelt zu spiegeln. "Mütterlicher Stress während der Schwangerschaft hat beim Nachwuchs später in Belastungssituationen eine bleibend erhöhte Auslenkung der CRH-Stressreaktion zur Folge." (S. 55) "Eine 'anregungsreiche Umwelt' ergibt sich für den Säugling daher zunächst vor allem durch die Beziehung, welche die Mutter mit ihm eingeht." (S. 67). "Positive Effekte einer abwechslungsreichen und anregenden Umgebung auf die Hirnstruktur liessen sich nicht nur bei jüngeren, sondern auch bei ausgewachsenen Tieren zeigen." (S. 65) Laut Bauer ist diese Spiegelung zunächst noch völlig unreflektiert, weil das Kind zuerst lernen muss, die gespiegelten Signale zu interpretieren und ein bewusstes Zurückspiegeln (oder auch abblocken unerwünschter Spiegelungen) erst später möglich wird. Er folgert deshalb: "Die Sicherung einer konstanten, führsorglichen und liebevollen Betreuung für Kinder ist daher nicht nur ein humanes und soziales Erfordernis, sondern auch eine Voraussetzung für eine ungestörte neurobiologische Entwicklung des Kindes." (S. 75) In der Kindheit und Jugend erworbene innere Neuronen-Netzwerke führen zu Schemata, die unser Leben als Erwachsene prägen."Bisherige Erlebnisse und Erfahrungen prägen neuronale Netzwerke, die zugleich Muster für die Bewertung oder Bewältigung künftiger Situationen werden. Neuronale Netzwerke codieren also auch zwischenmenschliche Beziehungen." (S. 65)

Bauer beschreibt auch, wo im Gehirn diese Neuronennetzwerke verstärkt werden: Die Mandelkerne (Amygdala) beteiligen sich entscheidend an der Bewertung neuer Situationen und Ereignisse, wobei an diesem Ort in limbischen System v.a. negative Erlebnisse gespeichert werden. Der Gyrus cinguli ist ebenfalls sehr wichtig in der Wahrnehmung und Interpretation der Umweltreize, weil dort die Schaltstelle zwischen äusserer Umwelt und innerer Körperwelt zu finden ist.   "Der Gyrus cinguli (deutsch: 'Gürtelwindung') [...] erwies sich aufgrund neuerer Untersuchungen als Sitz des Selbstgefühls, des Mitgefühls mit anderen Menschen und als Ort der Lebens-Grundstimmung." (S. 59) Bei Depressiven ist im Bereich des Gyrus cinguli eine veränderte Hirnaktivität nachweisbar.

Bauer zeigt dann anhand verschiedener Erkrankungen (z.B. Depression, Burn out oder postraumatische Belastungsstörung) das Zusammenspiel zwischen Umwelt, Genaktivität und Neurobiologie. "Häufige Gründe für das Entstehen seelischer Gesundheitsstörungen sind verunsichernde Erfahrungen bezüglich der Zuverlässigkeit von Bindungen, Ängste vor dem Verlust von Beziehungspersonen (oder tatsächlich erlittene Verluste), hoher Anpassungsdruck an die Bedürfnisse oder Gebote anderer, eine zu starke Zurückstellung eigener Bedürfnisse und nicht zuletzt auch Erfahrungen von Gewalt." (S. 213)

Auch die Epigenetik kommt ein wenig zum Zuge, und Bauer zieht zur Verdeutlichung ein tolles Bild des Genforschers Jens Reich bei: "[...] Jens Reich hat die Gene [...] mit einem Konzertflügel verglichen. Ein Konzertflügel kann für sich alleine keine Musik machen. Das Instrument genügt nicht, es muss jemand auf ihm spielen." (S. 10). Dieses Buch behandelt die Epigenetik nur soweit, als dass sie nötig ist, um die Mechanismen der Plastizität des Gehirns und Nervensystems zu verstehen.

Dieses Buch erklärt sehr eindrücklich Zusammenhänge, die uns alle zutiefst betreffen. Das Erschreckende dabei ist, dass durch fehlende oder belastende soziale Beziehungen nicht nur psychische Krankheiten resultieren, sondern nachweislich auch noch die Nervenzellen massiv degenerieren.


Dienstag, 11. Juni 2013

Achtsamkeit auf Ingenieursart


Das Forschungsmagazin "Horizonte" des Schweizerischen Nationalfonds widmet in seiner aktuellen Ausgabe (Nr. 97) eine Doppelseite den spannenden Versuchen mit einer "geführten geistigen Übung", die an der ETH Zürich durchgeführt wird.

Ziel der Versuche ist es, Probanden beizubringen, bestimmte Hirnregionen gezielt zu kontrollieren. Mittels real-time functional MRI kriegen die Probanden ein vereinfachtes Feedback über den Erfolg der Anstrengungen. Dies nennt man Neurofeedback, was nichts anderes bedeutet, als dass die Versuchspersonen (in der Hirnscanröhre) eine (meist visuelle) Rückmeldung auf ihre Hirnaktivität erhalten. Die Versuche zeigten, dass es möglich war, Schmerzen wegzudenken, indem die Versuchspersonen mit zunehmenden Training besser in der Lage waren, das Schmerzzentrum im Gehirn willentlich anzuregen (der Schmerz konnte besser unterdrückt werden, wenn das Schmerzzentrum aktiver war).

Sulzer und Gassert publizierten kürzlich ihre Versuche zur Selbstkontrolle der Substantia nigra (dort sind viele Nervenzellen, die Dopamin freisetzen). Sulzer sagt dazu: "Wir haben mit Neurofeedback, also ohne invasiven Eingriff, den Probanden beigebracht, ihre eigene Dopaminproduktion anzukurben. [...] Wer das lernt, kann diesen mentalen Trick mit nach Hause nehmen und auch offline, ausserhalb der Hirnscanröhre, sein selber hergestelltes Dopamin herstellen."

Sulzer und Gassert zeigen also mit ihren Versuchen, wie Gedanken gezielt die Aktivität des Gehirns ändern und sogar zur Ausschüttung von Neurotransmittern führen. Für mich ist das ein hoffnungsvolles Zeichen: Diese zwei Ingenieure am Labor für Rehabilitationswissenschaften der ETH Zürich zeigen, dass es möglich ist, die "eigene Apotheke im Kopf" zu aktivieren - sicherlich mit viel weniger Nebenwirkungen als der Griff zum Medikament.

Hier kann man das ganze Heft als pdf downloaden:
http://www.akademien-schweiz.ch/index/Publikationen/Horizonte.html