Sonntag, 17. Januar 2016

Das Rätsel des menschlichen Bewusstseins

Am 16.1.2016 fand im Verkehrshaus Luzern die 11. Schweizer Biennale zu Wissenschaft, Technik + Ästhetik statt, ein hochrangiges Treffen von Wissenschaftlern, die sich alle mit dem Bewusstsein befassen. Hier gibt es mehr Infos zu dieser vielbesuchten Tagung. In den nachfolgenden Notizen wird nur auf die Keynotes-Speakers (ohne zugehörige "Chairs") eingegangen.



Der erste Referent, Fritjof Capra, stellte gleich zu Beginn seiner Ausführungen klar, dass Physik das Leben nicht erklären könne. Für ihn liegt der Unterschied zwischen belebter und unbelebter Natur im Vorhandensein eines Metabolismus. Dieser wiederum besteht aus einem gerichteten Energiefluss (welcher von der Chemie, resp. der Physik untersucht werden kann) sowie aus einem chemischen Netzwerk, welches Gegenstand topologischer Untersuchungen sei. Für Capra sind Netzwerke die Basis-Organisation von Leben. Diese Netzwerke sind "Selbst-Machend", was unter dem Begriff "Autopoiese" beschrieben werden kann. Mehr Infos dazu:
- Wikipedia
- Artikel von Walter L. Bühl über Grenzen der Autopoiesis
- Buch "Autopoesis and Cognition" von Maturana und Varela

Für Capra ist auch der "Mind" kein Ding, sondern ein Prozess. Grundlegend für Lebensprozesse ist, dass sie zu einer Verkörperung von Organisationsmustern in Struktur führen. Leben und Bewusstsein sind untrennbar verflochten, wobei Capra erwähnte, dass dafür nicht gezwungenermassen ein Gehirn notwendig sei. Für ihn sind "mind & matter" zwei komplementäre Aspekte des Lebensphänomens. Bewusstsein ist für ihn ein spezieller Prozess der Kognition, der ab einem bestimmten Komplexitätslevel auftritt, wobei Selbst-Bewusstsein die zentrale Charakteristik dieses Prozesses ist. Bewusstsein existiert für Capra nicht ohne Materie und entsteht aus Kognition, welche sich wiederum auch entwickeln kann. Auf die Frage, ob Roboter jemals Bewusstsein entwickeln könnten, antwortete Capra, dass dies nur dann möglich wäre, wenn die Roboter einen Metabolismus entwickelten, denn erst dann könnten sie als Lebewesen auch Kognition und Bewusstsein entwickeln.

(Randbemerkung: Ich persönlich würde diese beiden Begriffe gerade andersrum verwenden: Für mich ist Bewusstsein grundlegender als Kognition.)

Capra sieht Evolution nicht als zufälliger Selektionsprozess, sondern als kreativer Prozess, denn Evolution ist komplex, geordnet und bewusst.

Der zweite Referent, Ernst Peter Fischer, stellte in einem erfrischenden Referat vehement klar, dass der Wert der Wissenschaft darin bestehe, dass sie zugebe, nichts zu wissen und neugierig bleibe. Für ihn ist das Leben ein Geheimnis und kein Rätsel, weil es sonst eine Lösung für die offenen Fragen gäbe. Deshalb sei der Titel der Tagung auch falsch: Es müsse "das Geheimnis des menschlichen Bewusstseins" heissen, weil man dieses Phänomen nie erklären könne und es deshalb kein Rätsel sei (ein Rätsel hat ja eine Lösung...). Für Fischer ist die naturwissenschafliche Forschung denn auch romantisch, was er anhand eines Textes von Novalis "belegte". Die naturwissenschaftliche Forschung liefert laut Fischer keine Lösungen, sondern verschiebt einfach die Geheimnisse "nach hinten"... Und trotzdem ist es wichtig, dass wir den Geheimnissen auf der Spur bleiben! Besonders gut gefallen hat mir folgende Aussage Fischers: "Beim Sehen malen wir die Welt!"

Als nächstes stellen Sir Roger Penrose und Stuart Hameroff ihr Modell der Entstehung von Bewusstsein durch Quantenprozesse an den Mikrotubuli vor. Die beiden waren schon an der 9. Biennale, über die sich in diesem Blog ebenfalls ein kurzer Text findet. Wer die Studie nachlesen will, kann dies hier tun.

Sehr spannend fand ich Hameroffs Ausführungen zum transkranialen Ultra-Sound (TUS): Durch mechanische Vibrationen (z.B. in Megahertz) kann durch Mikrotubuli vermitteltes (neurales) Zellwachstum beeinflusst werden, was sich in einem veränderten mentalen Zustand äussert. Hameroff testete dies u.a. auch an sich selber und versicherte uns, die so herbeigeführte "Gemütsveränderung" habe ca. 40 Minuten angehalten. Mehr Infos dazu gibt es unter diesem Link.

Für Hameroff und Penrose tanzt das Bewusstsein an der Grenze von zwei Welten (der Welt der klassischen Physik und derjenigen der Quantenphysik).

Einen ganz anderen Zugang zum Bewusstsein hatte der vierte Referent: Luis Eduardo Luna untersucht die Wirkung psychogener Pflanzen (z.B. Ayahuasca oder Yagé) und deren Einsatz bei indigenen Völkern. Für die Eingeborenen Südamerikas sind Pflanzen Lehrer - eine Ansicht, das mir sehr gut gefällt. Ich persönlich würde das ausweiten und sagen: Die Natur ist unser Lehrmeister! Laut Luna ist (fast) allen durch psychogene Pflanzen ausgelösten Trips (die ca. 4-5 Stunden dauern) das Gefühl der Verbundenheit eminent.

Nach der Mittagspause zeigten Thupten Jinpa (der englische Übersetzer des Dalai Lama) sowie Matthieu Ricard einen eher erkenntnistheoretischen und erfahrungsgeprägten Zugang zum Bewusstsein. Die Erfahrung ist ein wesentlicher Aspekt für Bewusstseinsbildung. Und auch bei diesen beiden Referaten wurde deutlich, dass das Rätsel um das menschliche Bewusstsein wohl eher ein Geheimnis bleiben wird, als dass es gelöst werden könnte.

Als letzter Referent erzählte Christof Koch über seine neurobiologische Forschung. Er verfolgt den klassischen Neurologischen Forschungsansatz, wonach neurale Aktivität Bewusstsein erzeugt (NCC = neuronal correlates of conciousness). Laut Koch ist Bewusstsein nicht im Kleinhirn angesiedelt, obwohl dieses 69 von 86 Bio. Neuronen enthält. Dass dies so ist, zeigt das eindrückliche Beispiel einer Chinesin, die über kein Kleinhirn aber trotzdem über vollständiges Bewusstsein verfügt. Experimente und empirische Beobachtungen zeigten, dass auch der primäre visuelle Cortex nicht am Bewusstsein beteiligt ist, obwohl andere Teile des Neocortex dies sind.

Laut Koch wird es in Zukunft möglich sein, 2 Gehirne miteinander zu verbinden und so eine Art "Überbewusstsein" zu konstruieren. Er kommt zu dieser Aussage, weil er in "split brain" -Versuchen das Gegenteil macht: Durch kappen der neuralen Verbindungen im Corpus Callosum (der Brücke zwischen den beiden Hirnhälften) verschwindet das Bewusstsein des Gesamthirns. Dazu fand ich hier einen spannenden Artikel.

Koch führte aus, dass es auch eine künstliche Intelligenz ohne Bewusstsein gibt. Er hält viel von der integrierten Informationstheorie des Bewusstseins von Giulio Tononi. Eine gemeinsame Arbeit von ihm und Tononi ist hier abrufbar. Laut Koch können Simulationen kein Bewusstsein generieren ("wir können Wetter im Computer simulieren, doch es wird niemals regnen im PC!"). Nur Realität schaltet Bewusstsein.

Fazit der spannenden Tagung: Das Rätsel wird wohl nie lösbar sein - und verlangt nach einer weiteren Biennale in 2 Jahren... Ich freue mich darauf, und bin gespannt, wie der Dialog weiter geht!