Dieses Spektrum Kompakt Themenheft zur Epigenetik vom Oktober 2014 beinhaltet sehr gute Artikel mit spannenden Neuigkeiten zum Thema. Es ist in sehr gut lesbarer Form aufbereitet und absolut empfehlenswert. Für mich waren daraus vor allem 2 Artikel spannend:
Im einen Artikel (Angst im Genom) geht es u.a. um die Forschung von Isabel Mansuy an der Uni und ETH Zürich: "Trennt
man neugeborene Tiere für mehrere Stunden
am Tag von ihren Müttern, ist das ein
traumatisches Ereignis für die Mäusebabys.
Als Folge entwickeln sie depressions-
ähnliche Symptome und legen zudem ein
untypisches, risikoreiches Verhalten an
den Tag. So verlieren die Mäuse ihre Scheu
vor offenen Räumen und hellem Licht.
Die Störung vererbt sich auf die Nachkommen.
Paart man Männchen aus traumatisierten
Würfen mit Weibchen, die niemals
frühkindlichem Stress ausgesetzt
wurden, zeigt auch die nächste Generation
das ungewöhnliche Gebaren. [...] Mansuy und ihre Mitarbeiter fahndeten
in den traumatisierten Mäusen nach
Auffälligkeiten und stießen in Spermien,
Blut und im Gehirn der Tiere auf kleine
RNA-Schnipsel, so genannte »small noncoding
RNAs« (sncRNA, kleine, nichtkodierende
RNA). Dabei handelt es sich um
kurze RNA-Moleküle, die selbst keine genetische
Information beherbergen, dafür
aber die Aktivität von Genen beeinflussen.
Einige dieser sncRNAs traten bei den
gestressten Tieren in ungewöhnlich hoher
Anzahl auf. Bei den Nachkommen entdeckten
die Wissenschaftler diese Auffälligkeit
ebenfalls. Um zu prüfen, ob diese RNA-Stückchen tatsächlich
für das auffällige Verhalten verantwortlich
zeichnen, injizierten die Wissenschaftler
in einem weiteren Experiment
die sncRNAs aus den Spermien
gestresster Mäuse in befruchtete Eizellen
unbeeinträchtigter Tiere. Auch diesmal
hatten die Nachkommen die Verhaltensstörungen
geerbt. »Wir haben einen völlig
neuen Weg aufgezeigt, wie sich die Folgen
traumatischer Erlebnisse auf nachfolgende
Generationen auswirken können«, erklärt
Mansuy "
Neben den bekannten epigenetischen Schalter wie Methylierung, Phosphorylierung und anderen Histonmodifikationen scheint es also noch weitere Mechanismen zu geben, die an Nachkommen weitervererbt werden. Besonders interessant ist, dass die Konzentration an sncRNA offenbar mit negativen Emotionen korreliert!
Der zweite für mich hochspannende Artikel mit dem Titel "Auf ein paar Monate genau" ist laut Spektrum eine "exklusive Übersetzung aus nature" (DEM Forschungsmagazin schlechthin). Im Artikel geht es darum, dass Steve Horvath eine epignetische Uhr entwickelt hat, mit der sich das Alter von Gebewebe (und somit von den Spendern dieses Gewebes) auf einige Monate exakt berechnen kann. Es handelt sich dabei um einen komplizierten mathematischen Algorithmus (Horvath promovierte in Mathematik und danach in Biostatistik), der von vielen anderen Wissenschaftlern bereits getestet wurde und ebenfalls sehr genaue Resultate erreichte. Grundlage dieses Algorithmus ist die Tatsache, dass sich die epigenetischen Muster in Zellen mit dem Altern verändern. Der Durchbruch in der Korrelation zwischen diesen Methylierungsmustern und dem chronologischen Alter gelang den Forschern, als sie die Methylierungen an ganz bestimmten DNA-Regionen betrachteten: "In der DNA des Menschen sitzen Methylgruppen
meist an CpG-Dinukleotiden, den
so genannten CpG-Sites. Darunter versteht
man Sequenzen, an denen ein Cytosin (C)
einem Guanin (G) voransteht. Das Genom
eines Menschen enthält üblicherweise
mehr als 28 Millionen solcher Stellen. Aber
die Mikroarray-Technologie, mit der DNAMethylierung
meist untersucht wird, erfasst
nur einen Bruchteil davon: Ältere Systeme
erkennen 27000 dieser Stellen, neuere
etwa 485000.
Horvath hatte Glück. Er war erfolgreich,
indem er ein einfaches statistisches Modell
anwendete. Mit diesem berechnete er,
in wie vielen Zellen eines Speicheltropfens
die DNA nur an zwei ganz bestimmten
CpG-Sites methyliert ist. Der errechnete Index
entsprach dem Alter der Teilnehmer
und erreichte dabei eine Korrelation von
0,85 (85 Prozent) und eine durchschnittliche
Genauigkeit von etwa fünf Jahren.[...] Im Jahr
2012 nutzte sein Algorithmus 16 CpG-Stellen
des Genoms und lieferte Korrelationen
mit dem chronologischen Alter von 96
Prozent in neun unterschiedlichen Geweben.
Die Genauigkeit war erstaunlich: Der
mittlere Fehler lag für Blutzellen bei drei
Jahren und für den Abstrich aus der Mundhöhle
bei nur 18 Monaten. [...] Bis Dezember 2012 hatte er
von 51 normalen Geweben und Zellen sowie
20 verschiedenen Krebsarten Methylierungsdaten
angehäuft. Dazu konnte er 353
CpG-Sites zur Altersbestimmung nutzen." Nachdem Horvarths Artikel im Oktober 2013 erschienen war, luden viele Wissenschaftler das Programm von seiner Website herunter, um damit ihre eigenen Daten zu prüfen. Dabei zeigte sich, dass Horvaths Alogrithmus unglaublich gut ist (die Übereinstimmung zwischen dem aufgrund der epigenetischen Methylierungsmuster errechneten und dem chronologischen Alter betrugen zwischen 98 und 99.7%). Die Forscher können auch zeigen, dass eine vorschnelle Alterung auf epigenetischer Ebene mit einer erhöhten Sterblichkeit korrelieren (darauf deuten laut Horvath jedenfalls Daten aus noch unveröffentlichten Studien). "Laut Horvath zeigen neue Arbeiten,
dass HIV-Patienten mit aktiver Virusinfektion
epigenetisch älter sind als gesunde
Patienten oder solche mit unterdrücktem
Virus. Außerdem seien laut einer
anderen noch nicht veröffentlichten Studie
manche Gewebe von krankhaft adipösen Leuten ihrem chronologischen Alter
weit voraus."
Ich finde es sehr spannend, dass neben der Theorie, dass die Verkürzung der Telomere für das Altern verantwortlich ist, nun auch epigenetische Faktoren in die Diskussion kommen. Sicher ist es noch nicht, ob diese wirklich für das Altern verantwortlich sind, doch die hohe Korrelation der Methylierungsmuster mit dem chronologischen Alter könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Forscher einem biologischen "Alterungsfaktor" auf der Spur sind. Und das Tollste daran: Methylierungen sind normalerweise reversibel! Somit könnte es vielleicht sogar eines Tages möglich sein, dass es gelingt, durch Beeinflussung unseres Epigenoms die biologische Uhr auszutricksen...